7.2. Erweiterte kollektive Lizenzen

Die Lizenzierung von nicht verfügbaren Werken durch Verwertungsgesellschaften ist ein Sonderfall der erweiterten kollektiven Lizenzen. Verwertungsgesellschaften sind befugt, Lizenzverträge nicht nur für ihre Mitglieder, sondern für alle Kreativen eines bestimmten Bereichs abzuschließen.

Das Prinzip der „erweiterten Kollektivlizenzen“ lässt sich mit dem eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags im Arbeitsrecht vergleichen, der ebenfalls nicht nur für die Mitglieder der Gewerkschaft gilt, die ihn verhandelt hat, sondern für alle Beschäftigten. Der große Vorteil solcher erweiterten Kollektivlizenzen, die insbesondere in den skandinavischen Ländern sehr verbreitet sind, liegt darin, dass nur noch mit einer zentralen Verhandlungspartnerin – der Verwertungsgesellschaft – ein Vertrag geschlossen werden muss und nicht mehr mit allen einzelnen Urheber:innen und Rechteinhaber:innen.

Mit der Umsetzung der DSM-Richtlinie werden erweiterte kollektive Lizenzen ganz allgemein ermöglicht – nicht nur für den Sonderfall nicht verfügbarer Werke. Hintergrund ist hier auch die neu eingeführte Haftung von Plattformen. Es soll ermöglicht werden, dass Plattformen mit Verwertungsgesellschaften erweiterte kollektive Lizenzen schließen können, um einen schwer praktikablen Erwerb je einzelner Rechte zu vermeiden. Dabei ging es dem Europäischen Gesetzgeber vor allem um Plattformen wie YouTube. Die gesetzgeberische Absicht war, dass solche Plattformen zur Vermeidung von Haftungsrisiken Verträge mit Verwertungsgesellschaften schließen. Dies soll einen Geldfluss hin zu den Rechteinhabern bewirken.

Kollektive Lizenzen werden in Deutschland damit erstmals ermöglicht – abgesehen von einem Sonderfall vergriffener Monografien. Es gibt insofern noch keine Erfahrungswerte. In den skandinavischen Ländern dagegen gibt es eine lange Tradition solcher Lizenzen – auch im Bereich des kulturellen Erbes. Die Norwegische Nationalbibliothek beispielsweise digitalisiert im Projekt Bokhylla auf der Grundlage solcher Lizenzen seit 2006 ihren gesamten Bestand einschließlich Audio- und Filmaufnahmen und macht ihn in Norwegen online zugänglich.