Es gibt einige besondere Rahmenbedingungen im Umgang mit kulturwissenschaftlichen Forschungsdaten. In globalen Anwendungsbezügen betreffen sie das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe und wissenschaftlichen Fortschritt, das zusammen mit dem Recht auf Bildung über den Weg des UN-Sozialpakts seit 1968 im deutschen Bundesrecht fest verankert ist.
Neben den vom Völkerrecht abgeleiteten nationalstaatlichen Grundrechten gilt es beim Management kulturwissenschaftlicher Daten, auch einige wissenschaftsimmanente Paradigmen zu berücksichtigen: Durch eine grundlegende Ausrichtung der Kulturwissenschaften auf Fragestellungen zur lebensweltlichen beziehungsweise historischen Kontextualisierung genießt das materielle oder immaterielle, meist nicht-digitale Untersuchungsobjekt eine Sonderstellung als authentischer Informationsträger, als Quelle wissenschaftlichen Wissens. Solche Gegenstände können materielle Objekte wie barocke Deckengemälde, chinesische Theatermasken, Programmzettel von Wanderkinos des europäischen Films, oder Lagepläne von im Krieg zerstörter Gebäude sein, aber auch immaterielle Kulturgüter wie der Musikinstrumentenbau in Sachsen oder die ebenfalls als UNESCO Kulturerbe eingetragene Deutsche Orchester- und Theaterlandschaft. Es kann sich um Aufzeichnungen menschlicher Aktivitäten handeln, die als filmische Mitschnitte von Performances oder Phonographenwalzen mit Gesangsaufnahmen vorliegen, oder auch um biografische Daten. Daher sind digitale Daten zu materiellen und immateriellen Kulturgütern stets nur eine mediale Repräsentation des beforschten Gegenstandes und nicht der beforschte Gegenstand selbst. Auch wenn immer größere Anteile kultureller Werke in Zukunft in digitaler Form vorliegen werden, entstehen weiterhin Daten, die sich mit den nicht-digitalen Werken als Informationsträgern beschäftigen und daher in ihrer wissenschaftlichen Bezugnahme über den Bereich der Digitalität hinausweisen.
Der Begriff „Forschungsdaten“ im Bereich der Kulturwissenschaften schließt daher die Daten, die die Bestände von Gedächtnisinstitutionen wie Bibliotheken, Archiven, Museen und Denkmalfachämtern erschließen, explizit ein. Digitale Daten machen die Sammlungsobjekte, die Gegenstand der Forschung sind, meist erst auffindbar und eindeutig adressierbar. In den Beschreibungsdaten zu historischen materiellen Objekten steckt bereits die Leistung einer historischen und materiellen Bestandsaufnahme und Kontextualisierung – sie vermittelt, warum ein Gegenstand als Kulturerbeobjekt bedeutsam und als Forschungsgegenstand verwendbar ist. Forschungsdaten vermitteln daher bereits grundlegende Forschungsergebnisse und bieten Grundlage und Ausgangspunkt weiterführender Forschung, oft auch überhaupt erst die Bedingung ihrer Möglichkeit.
Die Kulturwissenschaften haben digitale Methoden bislang eher zögerlich entwickelt, im Unterschied etwa zu den eher mit metrischen Daten arbeitenden Natur- Lebens- und Sozialwissenschaften. Dadurch, dass die Kulturwissenschaften eher mit nicht-metrischen Informationen arbeiten, werden selbst digitale Daten, die zum jeweiligen Forschungsobjekt vorliegen, häufig weiterhin mit nicht-digitalen Methoden ausgewertet.
Kulturwissenschaftler:innen, die digital vorliegende Informationsbestände verwenden, arbeiten allerdings zunehmend multimodal: Sie bearbeiten ihre Forschungsfragen durch gemeinsame Auswertung von Daten zu textuellen, visuellen oder auditiven Objekten. Dabei verwenden sie häufig hybride, nicht miteinander integrierte Software und technische Umgebungen. Eine effektive Verwaltung, Archivierung und Nachnutzung der in solchen Arbeitsprozessen entstehenden Forschungsdaten ist dadurch erheblich erschwert.
Auch können die in Rücksicht auf bestimmte heuristische Perspektiven ausgerichtete Forschungsdaten in den Kulturwissenschaften sehr individuell sein: Forschende bereiten ihre Quellen häufig so auf, dass sie für das jeweilige Forschungsziel des Projekts unmittelbar nützlich sind. Was noch für eine spezifische Forschungsfrage und die zugehörigen epistemischen Instrumente funktioniert, mag für andere Forschergruppen nicht oder nur sehr eingeschränkt verwendbar sein.
Ein Datenmanagement im Einklang mit den FAIR-Prinzipien unterstützt den Übergang zu Daten, die nicht nur von Menschen, sondern auch von Maschinen interpretiert werden können und erfordert in „interpretierenden“ Disziplinen der Kulturwissenschaften ein erhebliches Maß an methodologischer Reflexion und informationstechnischer Perspektivierung. Die FAIRe Bereitstellung von kulturwissenschaftlichen Forschungsdaten zusammen mit einer offenen Lizenzierung eröffnet aber viele neue Möglichkeiten für eine wissenschaftlich fruchtbare Weiterverwendung der Daten. Auf europäischer und nationaler Ebene gewinnt die Unterstützung für die gemeinsame Datennutzung in allen Disziplinen an Schwung und wird bereits zur Regel für die öffentlich finanzierte Forschung und Digitalisierung. Auch die für die Kulturwissenschaften relevanten Förderprogramme werden daher in den Leitlinien und einzureichenden Datenmanagementplänen zunehmend auf die FAIR-Prinzipien ausgerichtet.